Plädoyer für Mut und Offenheit

Digitalisierung braucht Fehler und Lernen

Die Digitalisierung der IHK Offenbach am Main wurde vor Längerem in Angriff genommen, erhielt mit der Pandemie einen kräftigen Schub und kommt zügig voran – rechtliche Vorgaben und Unternehmensinteressen immer im Blick.

Online-Angebote und hybride Veranstaltungen haben sich seit der Pandemie in der IHK Offenbach am Main etabliert.

Foto: IHK

IHKs sind Zwitterwesen. Einerseits agieren sie wie mittelständische Unternehmen, bieten vielerlei Services an und folgen Kosten-Nutzen-Überlegungen. Über 200 Jahre selbstorganisierendes Unternehmertum stecken im Kern unserer DNA. Andererseits stehen IHKs auf dem Boden des IHK-Gesetzes und erfüllen anstelle des Staates wichtige hoheitliche Aufgaben für die Wirtschaft. Finanziert werden sie im Wesentlichen durch die Mitgliedsbeiträge regionaler Unternehmen, die über gewählte Vertreter unsere Arbeit konstruktiv, aber streng begleiten. Die Dualität aus freiwilliger Selbstverwaltung der Wirtschaft und hoheitlich eng definierten Aufgaben bringt (auch) bei der Digitalisierung besondere Herausforderungen mit sich. Jedoch haben wir auf unserem Weg einige grundsätzliche Dinge gelernt, die in jeder Organisation in Innovationsprozessen wichtig sind.

„Es allen Recht getan, ist eine Kunst, die keiner kann“

Viele Mitarbeitende unterliegen einem hohen Qualitätsanspruch. Sie wollen ihre Arbeit gut und fehlerfrei machen. In der IHK gilt das insbesondere hinsichtlich der rechtlich einwandfreien Erfüllung hoheitlicher Aufgaben. Fehler haben hier weder in Fachverfahren noch in eingesetzten Anwendungen Raum.

Digitalisierung baut auf neue Perspektiven, kundenzentrierte Prozesse, zeitgemäße Tools und iterative Arbeitsweisen. Für das Ausprobieren, Einüben und Verändern gilt es, Mitarbeitende zu gewinnen und fit zu machen. Eine gesunde Fehlerkultur in der gesamten Organisation ist dafür unerlässlich. Digitalisierung braucht Fehler.

Hier beißt sich unsere Dualität aus adaptivem und innovativem Unternehmer-Gen und 110-prozentiger Gesetzestreue und analoger Prozessdisziplin. Wie für die meisten Organisationen sind Veränderungen in gewachsenen Strukturen bisweilen schmerzhaft. Jedoch gilt: Wer Innovationen will, darf keine Scheu vor Ungewissheit haben.

Das haben wir gelernt

Experimentieren mit offenem Ausgang: Digitalisierung ist ein kontinuierlicher Prozess der Innovation und des Experimentierens. Über das Testen neuer Tools und Vorgehensweisen gewinnen Mitarbeitende Sicherheit. Schafft man entsprechenden Spielraum, lernen sie, dass sie nicht für Fehler bestraft werden, die während des Experimentierens auftreten.

Wissen sammeln und teilen: Die kontinuierliche Dokumentation und eine für die Rezipienten geeignete Vermittlung des neuen Wissens ist wichtig. Digitale Technologien bieten genau dafür unzählige Möglichkeiten des Lernens und des Wissensaustauschs. Gesunde Organisationen schaffen geeignete Strukturen und Prozesse, die kontinuierliches Lernen und eine offene Kommunikation unterstützen.

Kommunikation ist ein Schlüssel: Sie erfordert Geduld, Zielstrebigkeit und Ausdauer und die enge, vertrauensvolle Kooperation zwischen verschiedenen Teams oder Organisationen. Es muss verinnerlicht sein, dass Fehler offen, fair und lösungsorientiert kommuniziert und als Lernmöglichkeiten genutzt werden. Ziele sind gemeinsame Ziele. Zutage tretende Widersprüche werden sofort offenbart und geklärt.

Keine Angst vor Fehlern! Ebenso erfolgsentscheidend ist eine positive Grundeinstellung zu Fehlern, Fehlbarkeiten und Veränderungen. Allesamt sind entscheidend für notwendige Verbesserungen. Das wiederum braucht die entsprechende Haltung und Arbeit aller Führungskräfte, um Menschen für diese lernorientierte Perspektive zu öffnen.

Neue Türen geöffnet

Die Arbeit an der Strategie der IHK hat uns in den letzten Jahren viele neue Themen und Perspektiven eröffnet. Digitalisierung ist immer ein wichtiges Themenfeld für Veränderungsprojekte gewesen. Doch der Booster waren die Coronajahre. Technisch gut ausgestattet haben wir am 13. März 2020 unsere Kolleginnen und Kollegen voll arbeitsfähig ins Homeoffice geschickt. Früher und schneller als andere konnten wir so etwa Microsoft 365 einführen. Weil die Zeit drängte, kam der eigentliche Change-Plan nicht zum Tragen. Jedoch hat sich die Vorarbeit an der Kultur massiv ausgezahlt. Alle waren bereit, sich auf neue unbekannte Wege einzulassen und diese aktiv mitzugestalten.

Um die Vorteile der Digitalisierung voll auszuschöpfen, ist eine Kultur entscheidend, die Fehler als Gelegenheiten für Verbesserungen betrachtet, anstatt sie als etwas zu sehen, das vermieden oder bestraft werden sollte. Dafür gilt es, zugrunde liegende Normen und Werte zu überprüfen und zu verändern. Die tiefe Reflexion und die Bereitschaft, grundlegende Annahmen oder traditionelle Geschäftsmodelle, gewohnte Prozesse oder Denkweisen zu hinterfragen, öffnen neue Türen und setzen Kräfte frei. Das gilt für das Zwitterwesen IHK genauso wie für Unternehmen oder Verwaltungen.

Autor

Marcus Lippold
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lippold@offenbach.ihk.de