Investitionen, Steuersenkungen, Bürokratieabbau
IHK-Spitze stellt klare Forderungen für Offenbach
Die deutsche Wirtschaft kommt aus dem Krisenmodus nicht heraus. Das spüren auch Unternehmen in Stadt und Kreis Offenbach. Die IHK-Spitze formuliert klare Forderungen.
Wollen mit der Industrie- und Handelskammer Offenbach auf die Politik einwirken: Präsidentin Kirsten Schoder-Steinmüller und Hauptgeschäftsführer Markus Weinbrenner.
Foto: Patrick Scheiber
Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation, Rezession – die wirtschaftliche Lage in Deutschland war schon mal besser als in den vergangenen Jahren. Doch wie geht es den Unternehmen in Stadt und Kreis Offenbach? Vor welchen Herausforderungen stehen sie? Welche Perspektive hat die Region im Herzen des Rhein-Main-Gebietes und wie lauten die Forderungen an Bundes- und Landespolitik? Darüber sprechen Kirsten Schoder-Steinmüller, Präsidentin der Industrie- und Handelskammer (IHK) Offenbach, und Hauptgeschäftsführer Markus Weinbrenner im Interview stellvertretend für die rund 34?000 Mitgliedsunternehmen aus Stadt und Kreis Offenbach.
Frau Schoder-Steinmüller, wie bewerten Sie die wirtschaftliche Lage in Stadt und Kreis Offenbach aktuell?
Schoder-Steinmüller: Die Situation ist in den vergangenen Jahren sehr schwierig gewesen. Wir waren gerade aus der Pandemie herausgekommen, hatten Schwierigkeiten bei Lieferketten im Griff, dann kam der russische Überfall auf die Ukraine. Das war ein Schlag ins Kontor, zumal wir seitdem sehr viel höhere Energiepreise haben. Dadurch sind auch Rohstoffpreise in allen Bereichen davongaloppiert. Doch das größte Thema, was uns umtreibt, ist die überbordende Bürokratie, direkt gefolgt vom Arbeitskräftemangel. Hier spreche ich bewusst von Arbeitskräfte- und nicht von Fachkräftemangel, denn über diesen sind wir hinaus.
Herr Weinbrenner, wie stehen Stadt und Landkreis Offenbach im Vergleich da?
Weinbrenner: Wir haben eine Stagflation – und das spüren unsere Unternehmen. Insofern ist es wichtig, dass der Fokus jetzt auf nennenswertes Wachstum gelegt wird. Deswegen sind wir auch sehr dankbar, dass die Bundesregierung das nun auf die Agenda gesetzt hat. Da sind einige gute Punkte dabei, etwa Fortsetzung und Ausweitung der degressiven Abschreibung, die Erhöhung der Förderzulagen und positive Anreize zu Mehrarbeit, weil das die Leistungsbereitschaft erhöht. Andererseits fehlen aber auch wichtige Punkte; es gibt etwa keine Aussage zu den hohen Energiekosten. Was in der Tat dringend ist, ist, dass der Bürokratieabbau radikal angegangen wird.
Kommt die Trendwende zu mehr Wachstum jetzt von alleine oder muss nachgeholfen werden?
Schoder-Steinmüller: Ich glaube, dass wir ohne Weiteres nicht aus der Krise herauskommen. Die hessische Landesregierung ist zwar sehr bemüht, aber es sind ja sehr viele Dinge dabei, die vom Bund bearbeitet werden. Was dort zuletzt aufgelegt wurde, ist ein Sammelsurium verschiedenster Themen. Aber es ist nicht so, dass dadurch ein Ruck durchs Land geht. Ich sehe keine Ansätze, dass etwa die Investitionsbereitschaft der Unternehmen maßgeblich befördert wird.
Weinbrenner: Und gerade die hat in den vergangenen zwei Jahren sehr gelitten – begründet mit der Unsicherheit. Es sind einfach zu viele Fragen bezüglich der zukünftigen Rahmenbedingungen offen. Das schadet uns langfristig. Ich glaube, dass wir durchaus wieder ein stetiges kleines Wachstum haben werden, weil die Weltkonjunktur sich verbessert, aber wir schöpfen unser Potenzial nicht aus. Wir brauchen strukturelle Reformen: Entlastungen bei Steuern und Abgaben für Unternehmen, eine Klärung bei der Frage nach der Energieversorgung der Zukunft – also Energiesicherheit und wettbewerbsfähige Preise.
Ist die Konjunkturflaute auch an der Zahl der Insolvenzen ablesbar?
Schoder-Steinmüller: Wir haben sehr viel mehr Insolvenzen als in den vergangenen zwei Jahren, aber auch als in den Pandemie-Jahren, als es noch viel Unterstützung gab. Das mag in dem einen oder anderen Fall eine Marktbereinigung sein, aber es sind auch viele, bei denen die Geschäftsmodelle nicht mehr tragen. Und wir haben eine zweite Zahl, die viel zu sehr vernachlässigt wird: Betriebe schließen einfach die Tür. Sie gehen also nicht in die Insolvenz, sondern sie finden keinen Nachfolger oder ihr Geschäft lohnt sich schlicht nicht mehr. Sehr viele Unternehmen investieren aktuell zudem im Ausland, weil sie hier keine Antwort auf die Frage finden, wie sie sich zukünftig aufstellen sollen.
Wenn wir über Arbeitskräftemangel sprechen, landen wir schnell bei der Demografie. Wie groß ist deren Einfluss?
Schoder-Steinmüller: Das Thema der demografischen Entwicklung war über Jahrzehnte absehbar. Wir haben aber nicht entsprechend gegengesteuert und leisten uns zusätzlich viele Menschen, die nicht ihre volle Arbeitskraft zur Verfügung stellen wollen oder können. Wir hatten 1964 den Höhepunkt der sogenannten Babyboomer-Jahre, der stärkste Jahrgang mit knapp 1,4 Millionen Geburten. Seit Jahren liegen wir bei rund 700?000 Geburten pro Jahr. Zusätzlich leisten wir uns mehr als zwei Millionen zumeist junge Menschen, die keine Berufsausbildung oder keine abgeschlossene Schullaufbahn haben. Auch das Thema Erwerbstätigkeit von älteren Arbeitnehmern – zum Beispiel Menschen, die gerne über die Altersgrenze hinaus arbeiten können und wollen – spielt hier mit hinein. Zudem hapert es bei der Kinderbetreuung und damit bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf an allen Ecken und Enden. Dabei ist klar: Wir werden das Thema Arbeits- und Fachkräftemangel nicht alleine über Zuwanderung lösen können.
Weinbrenner: Das Thema Kinderbetreuung hat aus meiner Sicht außerdem einen sozial- und gesellschaftspolitischen Aspekt. Wenn wir eine gute Betreuung und damit auch eine gute Erziehung haben, dann haben wir auch eine gute Basis für junge Menschen – für ihr schulisches Leben bis zum Berufseinstieg. Insofern ist es wichtig, sich darauf zu fokussieren. Die Kommunen werden damit allerdings ziemlich alleine gelassen.
Ihr Gestaltungsspielraum wird durch die hohen Kosten immer kleiner …
Schoder-Steinmüller: Das bekommen wir von Bürgermeistern in Stadt und Kreis so widergespiegelt. Das ist auch ein Hemmschuh beim Thema Wohnraum. Die Gemeinden zögern, weitere Wohngebiete auszuweisen, weil sie die Folgekosten nicht absehen können. Das ist aber auch beim Thema qualifizierte Zuwanderung wieder ein Problem, denn wir haben jetzt schon zu wenig Wohnraum für unsere aktuelle Bevölkerung.
Neben dem Bürokratieabbau zielt eine Ihrer Forderungen in Richtung Politik auf die Verbesserung bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Was sind weitere Wünsche mit Blick auf die neue Landesregierung oder die Bundestagswahlen kommendes Jahr?
Weinbrenner: Beim Tempo für Planungen und Genehmigungen muss etwas passieren. Auch das Thema Ausbau der Energienetze, von den großen Überlandleitungen bis zu den Verteilernetzen vor Ort, ist wichtig. Die Zuwanderung muss außerdem weiter vereinfacht werden – von den Auslandsvertretungen bis zu den Behörden vor Ort. Die Prozesse müssen insgesamt effizienter, digitaler und damit schneller werden.
Was muss in der Region getan werden, um als Wirtschaftsstandort weiter attraktiv zu bleiben?
Schoder-Steinmüller: Ein großer Faktor ist, dass wir den Investitionsstau in der Infrastruktur aufheben – sowohl auf der Straße, also bei Autobahnen und Bundesstraßen sowie bei Brücken, als natürlich auch im Schienennetz.
Weinbrenner: Wir brauchen unbedingt mehr Flächen – für Unternehmen und zum Wohnen. Die sind natürlich in der Metropolregion knapp, also sind die Preise hoch. Deshalb müssen wir sehr klug mit diesen Flächen umgehen. Ein weiterer Punkt ist die Attraktivität als Standort für Fachkräfte – da geht es auch um attraktive Innenstädte.
Nimmt man all diese Punkte zusammen, dann sprechen wir über sehr viel Geld, das in die Hand genommen werden muss. Woher soll das kommen?
Weinbrenner: Nicht unbedingt. Flächen auszuweisen, kostet erst einmal kein Geld. Ebenso wenig wie die Änderung der Bauordnung, die die Baukosten senkt. Auch eine Senkung der Grunderwerbssteuer kostet nichts.
Wodurch die Kommunen Einnahmen verlieren …
Weinbrenner: Auch deshalb müssen wir zunächst das Wachstum ankurbeln, damit wieder Gewinne erzielt und damit Steuern gezahlt werden. Damit löst man ganz viele Probleme. Dafür brauchen wir aber wieder eine stärker wachstumsorientierte Angebotspolitik, als wir das in den vergangenen Jahren hatten. Denn ohne Wachstum können wir unseren Wohlstand nicht halten und uns die soziale Sicherheit nicht leisten. Dann muss man in den Haushalten schauen, welche Ausgaben unbedingt notwendig sind. Hier haben aus meiner Sicht Infrastruktur und Bildung Priorität.
Bedeutet das das Ende der Schuldenbremse?
Schoder-Steinmüller: Bislang ist das Steuersäckel noch sehr gut gefüllt. Da ist also schon die Frage, ob die Prioritäten zuletzt richtig gesetzt worden sind. Aber nicht all unsere Forderungen kosten Geld, vieles lässt sich durch eine Umstrukturierung erreichen.
Weinbrenner: Aus meiner Sicht wird man vielleicht marginal an die Schuldenbremse herangehen müssen. Grundsätzlich ist sie aber wichtig, weil in dem Augenblick, wo die Schleusen geöffnet sind, der Strom der staatlichen Ausgaben für alle möglichen politischen Projekte anschwellen wird – das zeigt die Erfahrung. Stattdessen sollten wir schauen, wie wir die Wachstumskräfte wieder entfesseln, wie wir Innovationsfähigkeit fördern und mit Forschung, neuen Produkten und Verfahren wieder in die Weltspitze kommen. Durch marktwirtschaftliche Anreize private Investitionen auszulösen, hat einen ebenso großen Hebel, wie staatliche Verschuldungsprogramme aufzulegen.
Das größte Projekt unserer Zeit ist die Energiewende. Wie schauen Sie darauf?
Schoder-Steinmüller: Ich glaube, wir müssen uns bei dem Thema mal ehrlich machen: Wir waren immer sehr ideologisch unterwegs und haben Probleme sehr lange ignoriert. Das betrifft etwa die Wärme- und die Stromnetze.
Weinbrenner: Wir stehen voll dahinter, dass wir in den Klimaschutz investieren müssen – natürlich steht die Wirtschaft da an erster Stelle. Wir werden diese Transformation aber nur mit Innovationen schaffen. Entsprechend gibt es Zweifel am Weg, der derzeit eingeschlagen wird. Wir fordern einen klaren, realistischen, pragmatischen, finanzierbaren Umsetzungspfad. Es muss sich international abgestimmt werden, und wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit im Blick haben. Es nützt nichts, wenn wir unsere eigenen Unternehmen des Klimas wegen vom Markt räumen, weil wir sie brauchen, um den Klimawandel zu bekämpfen. Es geht um eine Balance zwischen ökologischen, sozialen und ökonomischen Belangen.
Was sind aus Ihrer Sicht die drei größten Herausforderungen in der Region, Stadt und Kreis, aber auch die drei größten Chancen?
Weinbrenner: Die größten Herausforderungen sind die Mobilität, die Frage der Flächen und der Fachkräftemangel.
Schoder-Steinmüller: Und über allem steht die Bürokratie.
Weinbrenner: Die Chancen liegen vor allem darin, dass wir eine Gründerregion sind. Gerade in Offenbach haben wir außerdem eine sehr junge Bevölkerung. Auch die Nähe zum Flughafen Frankfurt ist eine Chance, denn er spielt eine wichtige Rolle für international aktive Unternehmen. Schlagfertig macht uns in der Region sowie besonders in Stadt und Kreis die konstruktive Zusammenarbeit mit Städten und Gemeinden, Politik und Verwaltung und regionalen Akteuren. Eine weitere Chance sehe ich gerade für Offenbach im Thema Design, weil wir mit der Hochschule für Gestaltung ein Pfund mit vielen gut ausgebildeten, jungen Menschen haben, die die Wirtschaft dringend braucht – gerade auch um die Transformation zu bewältigen.
Das Gespräch führte Philipp Keßler.